»Nicht Gnade, sondern Recht« – Das
Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG)

Am 9. September 1955 hat das Parlament einen großen Tag. In einer Sondersitzung wird das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) beschlossen. Es tritt am 1. Jänner 1956 in Kraft. Der Baugewerkschafter Johann Böhm (1886–1959), Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (1945–1959) und des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, Hauptredner in der Nationalratsdebatte über das ASVG, zeigt sich überzeugt, dass das ASVG »so viel Gutes, daß man mit Fug und Recht sagen kann, daß der Arbeiter und Angestellte nicht mehr um seine Existenz im Alter besorgt sein muß«, mit sich bringt.
Als Architekten des ASVG gelten Sozialminister Karl Maisel (1890–1982) und der Angestelltengewerkschafter Friedrich Hillegeist (1895–1973). Bereits seit Jahrzehnten kämpfen die Gewerkschaften für eine ausreichende Alters-, Witwen und Waisenversorgung der Arbeitnehmer:innen. Sie kann lange nicht verwirklicht werden, betteln bleibt oft der letzte Ausweg. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges sollen diese Forderungen endlich in die Realität umgesetzt werden. Der Weg zu einem modernen Sozialversicherungsrecht wird von heftigen politischen Kontroversen begleitet, besonders heftig ist der Widerstand gegen das Gesetz seitens der Ärzteschaft. Am 25. und 26. August 1955 protestieren sie auf der Wiener Ringstraße. Eine wichtige Etappe ist der nach dem Angestelltengewerkschafter Friedrich Hillegeist benannte »Hillegeist-Plan«, der ursprünglich nur für die Pensionsversicherung der Angestellten gedacht ist.