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Arbeiter und Angestellte! Kolleginnen und Kollegen! Es ist wohl wahr, wir stehen im Augenblick mit leeren Händen vor euch, wir können euch für die nächste Zukunft nichts bieten als die Aussicht auf viel und schwere Arbeit, auf Kummer und Not. Aber wir wollen auch diese schwierige Zeit noch meistern.

Johann Böhm, Präsident des ÖGB 1945–1959

WAS DAMALS GESCHAH

»Noch während sich jenseits des Donaukanals schwere Kämpfe abspielten, war der Gewerkschaftsbund gegründet worden. Man kann also mit Recht behaupten, daß er unter dem Donner der Kanonen geboren wurde«, schreibt der erste Präsident des ÖGB, Johann Böhm, in seinen Lebenserinnerungen. Am 13. April 1945 macht er sich auf den Weg, um seinen ehemaligen Mitarbeiter in der Baugewerkschaft der Ersten Republik, Josef Battisti, in dessen Wohnung in der Kenyongasse 3 im 7. Wiener Gemeindebezirk zu besuchen. Bald kommen andere Gewerkschafter hinzu, so etwa Lois Weinberger, der Vertreter der ehemaligen christlichen Gewerkschaften und der kommunistische Gewerkschafter Gottlieb Fiala. Am 15. April findet im Wiener Direktionsgebäude der Westbahn eine Vertrauensmännerkonferenz statt, in der die Gründung des ÖGB beschlossen wird. Zum Vorsitzenden wird Johann Böhm gewählt. Am 30. April 1945 spricht eine Delegation bei der sowjetischen Militärkommandantur vor, um die Genehmigung zur Gründung des ÖGB zu erreichen, noch am selben Tag wird sie erteilt. Damit kann die Gewerkschaftsarbeit im Osten Österreichs beginnen, ab Herbst 1945 kann sie auf das ganze Bundesgebiet ausgedehnt werden.

Die Organisationsform des ÖGB ist weltweit einmalig. Er hat das Prinzip der Einheitlichkeit und Überparteilichkeit, im Gegensatz zur Gewerkschaftsbewegung vor 1934, als es noch sogenannte Richtungsgewerkschaften gibt. Er ist nach dem flexiblen Industriegruppenprinzip (mit Ausnahme der GAP/ GPA und der Gewerkschaft der öffentlich Bediensteten) organisiert. 1945 gehören ihm 16 Gewerkschaften an, aktuell besteht der ÖGB aus 7 Gewerkschaften bzw. Gewerkschaftsblöcken und hat Ende 2022 1.199.856 Mitglieder.

Lois Weinberger, Johann Böhm und Gottlieb Fiala (von links nach rechts).
Lois Weinberger, Johann Böhm und Gottlieb Fiala (von links nach rechts). Zvacek

Der ÖGB und die Gewerkschaften sind wichtige Akteur:innen beim Aufbau der Zweiten Republik: Sie unterstützen die Menschen mit Lebensmitteln, Kleidung und Schuhen, helfen bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen. Auf dem Programm steht ein neues Betriebsrätegesetz, ein neues KV-Gesetz und die Demokratisierung der Sozialversicherung.
Wichtiger Partner auf dem Weg in eine bessere Zukunft ist die österreichische Sozialpartnerschaft. Der 75. Geburtstag des ÖGB 2020 ist von der Corona-Krise geprägt. Die Gewerkschaftsbewegung steht damit wieder vor neuen Herausforderungen.

FOTOS ZUM MEILENSTEIN

Der erste Bundeskongress des ÖGB vom 18. bis 23. Mai 1948.
Der erste Bundeskongress des ÖGB vom 18. bis 23. Mai 1948. ÖGB-Archiv
Nr. 244
Der ÖGB gehört zu den wichtigsten Akteur:innen des Wiederaufbaus der Zweiten Republik. ÖGB-Archiv
Erinnerungstafel an die Gründung des ÖGB in der Kenyongasse 3, 1070 Wien
Erinnerungstafel an die Gründung des ÖGB in der Kenyongasse 3, 1070 Wien ÖGB-Archiv
Erster ÖGB-Bundeskongress 1948
Erster ÖGB-Bundeskongress 1948 ÖGB-Archiv
Titelseite Der österreichische Arbeiter und Angestellte zur Gründung des ÖGB
Titelseite Der österreichische Arbeiter und Angestellte zur Gründung des ÖGB ÖGB-Archiv