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„Wortführer der Unzufriedenen“

Hermann Schulz und die Geschichte der organisierten Gemeindeangestellten.

Vor dem Sarg am Wiener Rathausplatz standen Tausende Gemeindeangestellte, daneben Nationalratsabgeordnete aller Parteien und Gewerkschafter, dahinter der Bürgermeister Karl Seitz (SDAP). Sie nahmen Abschied vom „Wortführer der Unzufriedenen“: Hermann Schulz. Eine heimtückische Krankheit hatte den Präsidenten des Reichsverbandes der Gemeindeangestellten, den Nationalratsabgeordneten (SDAP) mit nur 51 Jahren das Leben gekostet.

Am Tag seines Begräbnisses, dem 23. Februar 1926, waren alle Zwistigkeiten, aller Hass und Neid vergessen. Christlichsoziale und sozialdemokratische Politiker:innen waren sich einig, dass ein Großer gegangen war. Er, der den Spagat in der Ersten Republik zwischen christlichsozialer Bundesregierung und dem Roten Wien geschafft hatte, der während Sparmaßnahmen und massivem Personalabbau eine moderne Dienstordnung für öffentlich Angestellte in Wien durchgesetzt hatte, eine einheitliche Besoldung und die automatische Anhebung der Pensionen. Schulz gelang es, zuerst die vielen Wiener Fachvereine zu einem Verband zusammenzuschließen und dann die österreichischen in einem Reichsverein.

Sogar die konservative Tageszeitung Reichspost, die ihn seit Beginn seiner Karriere stets angegriffen hatte, ihn als Verräter und Lügner bezeichnet hatte, schrieb nach seinem Tod, er sei ein starkes organisatorisches Talent gewesen, dass es ihm gelungen sei, die Wiener städtische Angestelltenschaft in einem Verband zu einen. Diese Tat sei umso bemerkenswerter, weil er bis zum Jahr 1918 völlig unbekannt gewesen sei.

Hermann Schulz begann im Jahr 1891 als Steueramtskontrollor im Bezirksamt Hernals zu arbeiten. Was ihn 27 Jahre später bewog, sich gewerkschaftlich zu organisieren ist nicht wirklich nachvollziehbar. Eine Gewerkschaftszeitung schrieb, dass wohl die Not der Gemeindeangestellten während des Ersten Weltkrieges im Freundeskreis besprochen worden sei und sein Amtskollege Franz Weber ihn gedrängt habe, sich zu engagieren. Keine leichte Aufgabe, verlangte die Monarchie von ihren Angestellten doch „blinden Untertanengehorsam“. Es erforderte viel Mut, sich freiwillig zum „Mittelpunkt der Auflehnung“ zu machen und viel Zähigkeit – scheiterten doch seine ersten Projekte.

Zuerst das Scheitern
Noch während des Ersten Weltkrieges wurde Schulz Obmann des Klubs der Steueramtsbeamten und trat im eher konservativen Verein der Wiener Beamten der Stadt Wien mit „verblüffenden“ Forderungen auf, von denen musste er aber absehen. Sein zweites Projekt scheiterte auch. Im Juni 1918 gelang ihm die erste Fusion: Der Klub der Hauptkasse der Stadt Wien vereinigte sich mit dem Klub der Steueramtsbeamten zum Verband der Kassenbeamten der Stadt Wien. Erstmals wurden auch weibliche Angestellte eingeladen mitzuarbeiten. Allerdings ging die Tätigkeit des Verbandes über die konstituierende Sitzung nicht hinaus. Aber, der Verband war die Keimzelle des ganz großen Verbandes – des Reichsverbandes der öffentlichen Angestellten der Gemeinden.

Die Schaffung des Hauptverbandes war eine Sisyphusarbeit, existierte doch eine Vielzahl von Fachvereinen, die auch noch in politische Lager aufgeteilt waren, und einige weigerten sich, sich mit „niedriger“ gestellten Angestelltengruppen zusammenzuschließen. Dazu kamen noch Eifersüchteleien und so manch Vorsitzender fürchtete um seinen Posten. Ein Zeitgenosse schrieb, „die Kleinstaaterei mit all ihren Nachteilen und Lächerlichkeiten stand in höchster Blüte, der zufriedene Dienstgeber schmunzelt darüber“.

Die Gemeinsamkeit macht stark
Schulz muss all das gekannt haben, er war lange genug im Gemeindedienst. Er ließ sich trotzdem nicht abhalten, wusste er doch, dass durch die „beispiellose Zersplitterung“ der öffentlichen Angestellten kein Fachverein stark genug war, um ihren Wünschen auch nur den „allergeringsten“ Nachdruck zu verleihen; einem Dienstgeber gegenüber, dem die „Harthörigkeit zur chronischen und lieb gewonnenen Gewohnheit“ geworden war. Die Fachvereine pflegten keinerlei Beziehungen untereinander, sie verfolgten nur ihre eigenen „Standesinteressen“ ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit.

Hermann Schulz konnte die Fachvereine einen.
Hermann Schulz konnte die Fachvereine einen. Bauer, Theodor / Ã NB-Bildarchiv / picturedesk.com

Schulz wurde Vorsitzender
Am 21. Oktober 1918 lud Schulz zu einem Obmännertreffen in sein Büro, in die Bezirksvorstehung für den 15. Gemeindebezirk. Die Teilnehmer gründeten den Verband der Fachvereine der Angestellten der Gemeinde Wien. Bei der nächsten Konferenz, im November 1918, wählten sie Schulz zum Vorsitzenden.
Zu dem Zeitpunkt war der Erste Weltkrieg verloren, aus der Monarchie die Erste Republik, aus dem 53-Millionen-Einwohner:innen-Staat der Rumpfstaat Deutsch-Österreich geworden – mit rund sechs Millionen Staatsbürger:innen und einem viel zu großen Beamtenstab. Von denen aber jede Berufsgruppe ihre eigenen Forderungen hatte und „wohlmotivierte“ Eingaben bei ihren Dienstgebern machten oder in Petitionen um Gehaltserhöhungen baten. Allesamt erfolglos. Schulz fasste die Eingaben und Forderungen in einem Memorandum zusammen und legte dem Schreiben an den Bürgermeister auch noch ein alle Angestellten der Stadt Wien umfassendes, einheitliches und übersichtliches Gehaltsschema bei.

Gleich noch eine Gehaltskürzung
Sein Organisationstalent bewies Schulz bei der Einberufung einer Versammlung am 22. Dezember 1918. Rund 1.400 Wiener Gemeindeangestellte kamen um 9.00 Uhr morgens in den großen Festsaal des Wiener Konzerthauses. Es war die erste Vollversammlung des Verbandes. Schulz rief in seiner Rede dazu auf, dass alle Angestellten der Gemeinde Wien ohne Unterschied des Ranges und des Standes sich zusammenschließen sollten.

Er stellte auch Forderungen auf: Besserstellung aller Angestellten, Belieferung mit Lebensmitteln und notwendigen Bedarfsmitteln, Ausbau der Gemeinschaftsküche, Vergünstigungen bei der Benutzung der Straßenbahnen, eine durchgreifende Lohnregulierung und die Schaffung einer Dienstordnung, die das Mitbestimmungsrecht der Angestellten beinhalten soll. Dafür erhielt er lang anhaltenden und stürmischen Beifall.

Schulz machte sich an die Arbeit, an die Umsetzung des Programms, um so den „unvermeidlichen wirtschaftlichen Ruin“ der Wiener Gemeindeangestellten zu verhindern.

Am 3. Jänner 1919, bei der ersten Delegiertensitzung, traten 45 Klubs und Fachvereine der städtischen Angestellten, Bediensteten der städtischen Unternehmen und der „Hoheitsbeamten“ (pragmatisierte Beamte) dem parteilosen, einheitlichen Verband offiziell bei. Sie gründeten mehrere Arbeitsausschüsse, unter anderem für Gehaltsfragen, Angestelltenkredite und auch für das Werbewesen und die Wohnungsfürsorge. Sie bildeten auch ein Komitee, das mit Forderungen an den christlichsozialen Bürgermeister Richard Weißkirchner herantreten sollte.

Im März 1919 schlossen sich die Fachvereine der Lehrer:innen dem Verband an und brachten eigene Forderungen mit: Gleichstellung mit den Magistratsbeamt:innen, Wahrung der erworbenen Rechte, Besoldungspolitik ohne Unterschied des Geschlechts und Regelung der Zulagen und Überstundenentlohnung.

Die Operation überlebte er knapp, blieb aber immer kränklich und plante, seine Ämter niederzulegen, sich der Feld- und Viehwirtschaft zu widmen. Am 2. Jänner 1926 präsidierte er das letzte Mal eine Sitzung des Hauptausschusses. Am 18. Februar 1926 starb er mit nicht einmal 52 Jahren.


Am 23. Februar begleiteten Tausende seinen Sarg – Freunde wie Feinde.